Bin ich verantwortlich – oder einfach nur beteiligt?
Eine Frage, die alles verändert
Was bedeutet es eigentlich, Verantwortung zu übernehmen? Ist es ein Synonym für „Schuld auf sich nehmen“? Oder einfach nur, seine Aufgaben zu erfüllen? Diese Frage stellt sich im beruflichen Alltag ständig – besonders in Teams und Führungssituationen. Doch was, wenn Verantwortung weit mehr ist als ein Pflichtenheft oder ein Posten in einer Projektorganisation? Was, wenn es dabei um eine tiefere Wahl geht: die Entscheidung, sich als aktive:r Gestalter:in der eigenen Erfahrungen zu erleben – mit der Chance, wirksam zu werden, Sinn zu stiften und Vertrauen zu schaffen?
Dieser Beitrag wirft einen neuen Blick auf Verantwortung im beruflichen Kontext. Eine Einladung, sich selbst und die eigene Rolle in einem Team, Projekt oder Unternehmen bewusster, mutiger und wirksamer zu leben.
Verantwortung als Haltung: Ich bin die Quelle
Verantwortung lässt sich etymologisch als „die Bereitschaft zur Antwort“ verstehen. Es ist also kein passiver Zustand, sondern eine aktive Wahl: Wie antworte ich auf das, was mir begegnet? Auf Aufgaben, Konflikte, Erwartungen, Unsicherheiten? In dieser Sichtweise ist Verantwortung keine äußerlich übertragene Funktion, sondern ein innerer Entschluss: Ich bin die Quelle dessen, was ich bin, tue und habe.
Kontextuell gedacht, bedeutet Verantwortung, sich als Urheber:in des eigenen Erlebens und Handelns zu begreifen. Dazu zählt nicht nur, was man tut oder unterlässt, sondern auch:
- wer man ist oder wie man sich sieht,
- was man mit sich machen lässt,
- was man erlebt hat und wie man es bewertet,
- welche Ergebnisse man schafft – oder verfehlt.
In diesem Verständnis ist Verantwortung nicht delegierbar. Sie ist immer da – ob bewusst gelebt oder unbewusst abgewehrt. Die gute Nachricht: Wer sich entscheidet, sie bewusst zu leben, gewinnt an Einfluss, Klarheit und Selbstwirksamkeit.
Rolle und Verantwortung: Form und Haltung verbinden
In Organisationen sind Rollen das strukturelle Gerüst für Zusammenarbeit. Mit einer Rolle – etwa als Teamleitung, Projektverantwortlicher oder Fachspezialistin – sind bestimmte Erwartungen und Verantwortungsbereiche verbunden. Die Rolle definiert, wofür jemand verantwortlich ist. Doch ob diese Verantwortung wirklich getragen wird, hängt von der inneren Haltung ab.
Die Rolle gibt den Rahmen – die Haltung füllt ihn mit Leben. Eine Führungskraft, die ihre Rolle bewusst annimmt, schafft Orientierung, Vertrauen und Klarheit. Und umgekehrt: Wer Verantwortung als Haltung lebt, kann auch ohne formalen Titel kraftvoll wirken.
Gerade in der Führung heißt Verantwortung: sichtbar sein als Quelle für Klarheit, Kommunikation und Kultur. Wer bereit ist, diese Verantwortung anzunehmen, eröffnet sich selbst (und anderen) mehr Gestaltungsspielraum und Wirksamkeit – statt sich im System zu verlieren.
Abgrenzung zur Schuld: Verantwortung ist nicht gleich Rechthaben
Oft wird Verantwortung mit Schuld verwechselt. Im Alltagsdiskurs heißt es schnell: „Wer trägt die Verantwortung?“ – gemeint ist meist: „Wer ist schuld?“ Doch diese Gleichsetzung blockiert Entwicklung. Sie führt zu Rechtfertigungen, Fingerzeigen und Angst vor Fehlern.
Der Unterschied ist entscheidend:
- Schuld fixiert auf die Vergangenheit.
- Verantwortung richtet den Blick nach vorn: Was kann ich tun, um die Situation jetzt zu verbessern?
Die amerikanischen Leadership-Trainer Werner Erhard und Michael C. Jensen bringen es auf den Punkt:
„Responsibility begins with the willingness to be cause in the matter of one’s life.“
Ein Beispiel: Projektverantwortung neu gedacht
Bei einem unserer langjährigen Kunden wurde ein Team gegründet, das ein großes Projekt durchführen soll. Es gibt eine Projektleiterin und Fachverantwortliche für Vertrieb, Controlling und Marketing. Trotz aller Meetings, Pläne und Deadlines gerät das Projekt immer wieder ins Stocken. Die Kommunikation ist unklar, das Budget wird überschritten, das Projekt wird gestoppt. Wir werden zur Unterstützung hinzugezogen.
Was passiert nun in klassischen Organisationen?
Die Schuldfrage wird gestellt. Es entstehen Rechtfertigungen, Verteidigung, gegenseitige Vorwürfe.
Unser Ansatz: Statt Schuldzuweisung – Verantwortung als Einladung.
Was, wenn sich jede*r Beteiligte fragt:
- Was war mein Beitrag zum Ergebnis?
- Habe ich klare Absprachen getroffen?
- Habe ich mein Wort gegeben?
- Habe ich auf Unklarheiten hingewiesen?
Aus einer potenziellen Krise wird so eine Lernchance. Das Projektteam entwickelte gemeinsam eine neue Form der Feedback-Kultur. Ergebnis: höhere Motivation, mehr Produktivität – und mehr Freude an gemeinsamer Wirksamkeit.
Verantwortung und Selbstführung: Zwei Seiten einer Medaille
Verantwortung setzt Selbstführung voraus – und umgekehrt. Nur wer sich selbst kennt, reflektiert und reguliert, kann Verantwortung bewusst leben. Stephen R. Covey nennt das „Response-Ability“: die Fähigkeit, bewusst zu wählen, wie man reagiert.
Selbstführung bedeutet:
- sich der eigenen Werte und Absichten bewusst zu sein,
- die eigenen Reaktionen und Grenzen zu erkennen,
- aktiv zu entscheiden, statt nur zu funktionieren.
Gerade in Führungsrollen ist das entscheidend. Wer Verantwortung übernimmt, ohne sich abzugrenzen, riskiert Überforderung. Umgekehrt ist „Nein sagen“ kein Rückzug, sondern ein verantwortungsvoller Akt der Klarheit.
Wer seine Führungsrolle mit Verantwortung lebt, schafft Vertrauen, Wirksamkeit und Entwicklung – bei sich selbst und bei anderen.
Verantwortung trainieren und leben
Verantwortung ist lernbar. Sie beginnt mit einer bewussten Entscheidung – und wird gestärkt durch Reflexion, Feedback und Praxis.
Bei Campus O Leadership Consulting begleiten wir Menschen dabei, diese neue Dimension von Verantwortung zu entdecken – für sich selbst, ihre Teams und Organisationen:
- In Coachings unterstützen wir Führungskräfte, sich als Quelle ihres Handelns zu erleben.
- In Leadership-Trainings vermitteln wir Methoden der Selbstführung und Kommunikation.
- In Teamworkshops schaffen wir Räume für echte Verantwortungsübernahme – individuell und kollektiv.
Fazit: Verantwortung ist eine Wahl
Verantwortung ist kein Titel und keine Schuldfrage. Sie ist eine bewusste Haltung: Ich bin bereit, Quelle zu sein – für meine Ergebnisse, meine Entscheidungen und meine Beziehungen.
Diese Wahl zu treffen, braucht Mut – aber sie schenkt Klarheit, Einfluss und die Kraft, Dinge zu bewegen. Sie ist der Schlüssel zu echter Selbstführung und wirksamer Zusammenarbeit.
Und sie beginnt mit einer einfachen, radikalen Frage:
Wofür bin ich bereit, mein Wort zu geben?
Verantwortung in der Leadership-Literatur
- Peter Senge (Die fünfte Disziplin): Lernende Organisationen entstehen, wenn Menschen Verantwortung für das Ganze übernehmen.
- Friedemann Schulz von Thun: Kommunikation ist Mitverantwortung für Verstehen und Wirkung.
- Brené Brown: Verletzlichkeit zuzulassen ist ein Zeichen von Mut und Verantwortung, nicht von Schwäche.
- Viktor Frankl: Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit zur Wahl. Verantwortung ist Ausdruck innerer Freiheit
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