Mitarbeiter-Jahresgespräche sind nicht unbedingt beliebt. Bei einigen Führungskräften wie Mitarbeitern gelten sie als bürokratisch, zeitaufwändig und manchmal sogar konfliktträchtig. Themen, die man im Alltag zwischen den Zeilen zu regeln versuchte, müssen jetzt vom Vorgesetzten entlang einem harten Beurteilungsschema abgearbeitet und dokumentiert werden. Kein Wunder, dass Vorgesetzter und Mitarbeiter in einer angespannten Atmospäre aufeinandertreffen.
In einer wissensorientierten Gesellschaft sind eigenverantwortlich arbeitende Fachexperten ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil. Der Spezialist weiß aufgrund seines Fachwissens und seiner Markt- und Kundennähe am Besten, was zu tun ist. In diesem Sinn braucht er nicht einen Vorgesetzten, der ihm das Denken und die Entscheidungen abnimmt, sondern eine Führungskraft, die ihm im operativen Alltag Freiräume gewährt und effiziente Rahmenbedingungen für seine Arbeit zur Verfügung stellt.
Damit werden klassische Mitarbeiterbeurteilungen aber fragwürdig: Wenn der Fachexperte in einem im Detail nur von ihm überschaubaren Wissensgebiet arbeitet und über die Delegation von Verantwortung auf Distanz geführt wird, sinkt die Beurteilungsfähigkeit und Kontrollmöglichkeit des Vorgesetzten.
Mitarbeiter-Jahresgespräche in dynamischen und komplexen Arbeitswelten setzen andere Schwerpunkte. Die Beurteilung wird durch wechselseitige Feedbackschleifen zwischen dem Fachexperten und der coachenden Führungskraft abgelöst. Ausgangspunkt ist dabei zunächst die gestaltbare Zukunft – statt einer Rückschau auf die nicht mehr veränderbare Vergangenheit. Welche strategischen Optionen gibt es aus Sicht der Führungskraft im Blick auf das große Ganze und welche aus Sicht des Fachexperten, der die technischen Möglichkeiten und die Kundenbedürfnisse oft genauer kennt? Wie werden die vielfältigen strategischen Optionen priorisiert? Und schließlich: Welche konkreten Zielvereinbarungen werden mit welchen begleitenden Maßnahmen beschlossen?
Sobald diese Themen in einem Dialog geklärt sind, wird die Motivation des Fachexperten ein Schwerpunktthema. Sie ist Voraussetzung für eigenverantwortliches Arbeiten und einer Führung auf Basis von Vertrauen statt Kontrolle. Gibt es eine ausreichende Identifikation des Fachexperten mit den vereinbarten Zielen und kann die Führungskraft mit gutem Gewissen loslassen und Freiraum gewähren?
Im folgenden Mitarbeiter-Jahresgespräch steht das Leistungsfeedback im Mittelpunkt. Das Ergebnis, der Output ist objektiv messbar, aber von vielen externen Größen wie Umwelteinflüssen, Gesetzesänderungen, Wettbewerbern etc. beeinflusst. Die spezielle Führungsaufgabe im Jahresgespräch ist es demgegenüber, die Leistung, also den persönlichen Input des Mitarbeiters in den entstandenen Umfeldbedingungen kritisch würdigend zu feedbacken. Dies geschieht nicht in Form einer objektiven Beurteilung, sondern durch einen verständigungsorientierten Dialog zwischen dem Fachexperten und seiner Führungskraft, in dem die subjektiven Einschätzungen abgeglichen und besprochen werden.
Zielorientierte Jahresgespräche, die die Strategien des Unternehmens und die Motivation des Fachexperten focussieren, sind in dynamischen und disruptiven Umwelten eine notwendige und spannende Entdeckungsreise zur Abstimmung zwischen Fachexperten und Führungskräften.
Und ja, klassische Beurteilungssysteme und Individualboni als Motivatoren sind fragwürdig, wenn es um komplexe Aufträge geht, die von selbstorganisierten Teams erarbeitet werden.